Gesamtschuldnerische Haftung für Lohnsteuer und Mehrwertsteuer bei Werk- und Unterwerkverträgen

Gesamtschuldnerische Haftung für Lohnsteuer und Mehrwertsteuer bei Werk- und Unterwerkverträgen

Wie bereits mit unserem Rundschreiben Nr. 37/2012 mitgeteilt, wurde mit der sog. „Aufschwungsverordnung“ (Art. 13-ter, D.L. 83/2012) im letzten August die gesamtschuldnerische Haftung im  Zusammenhang mit der Einzahlung von Lohnsteuern und Mehrwertsteuern grundlegend reformiert.  Oder genauer: Sie wurde neu eingeführt, nachdem die früheren Bestimmungen in D.L. 223/2006 in der Praxis bislang eigentliche nicht anwendbar waren. Die jüngsten Neuerungen wurden mit Rundschreiben der Agentur der Einnahmen Nr. 40/E vom 8. Oktober 2012 erläutert. Darin ist insbesondere festgehalten, dass die gesamtschuldnerische Haftung erst für Zahlungen ab dem 11. Oktober 2012 greift und zudem nur soweit, als der zugrundeliegende Vertrag ab dem 12. August 2012 abgeschlossene worden ist. Zu Umfang und Art der Haftung selbst gibt das Rundschreiben leider keine Antworten, obwohl die Fachverbände in den letzten Wochen hinlänglich auf Zweifel und Missstände hingewiesen haben. Bleibt zum Thema nur eine erste Studie des gesamtstaatlichen Verbandes der Bauunternehmer („ANCE“), die am 4. Oktober 2012 veröffentlicht worden ist. Hier der Versuch einer ersten Analyse der neuen Bestimmungen:

 

  1. Sachlicher und subjektiver Anwendungsbereich:

Laut dem Wortlaut von Art. 13-ter D.L. 83/2012 (in Abänderung von Art. 35 Abs. 28 und Abs. 28-ter D.L. 223/2006) wäre die gesamtschuldnerische Haftung auf Werkverträge, Unterwerkverträge, allgemein auf Dienstleistungsverträge und schließlich sogar auf Lieferverträge („contratti di fornitura“, eine Vertragsform, die im ZGB so nicht geregelt ist) anzuwenden. Frage: Die Einzahlung welcher Lohnsteuer sollte ein Lieferant von Baumaterialien bestätigen? Sind auch die Leistungen eines Reinigungsunternehmens betroffen, das die täglichen Putzarbeiten in einem Büro durchführt, wie in einem letzten Rundschreiben der SEAC behauptet? Die Agentur der Einnahmen schweigt hierzu. Laut ANCE sind hingegen nur Werk- und Unterwerkverträge im Sinne von Art. 1655 ZGB betroffen, auch weil das gesamte Gesetzeswerk auf andere Vertragsarten, insbesondere auf Kaufverträge, nicht anwendbar erscheint. Umgekehrt ist die Verpflichtung aber nicht auf das Bauwesen oder gar auf Bauunternehmer beschränkt. Auch der Unternehmer, der für den Bau oder Umbau seiner eigenen Betriebshalle Werkverträge abschließt, unterliegt den Bestimmungen. Zudem dürften die Regelungen auch Werkverträge außerhalb des Bauwesens betreffen, z. B. zur Errichtung von Maschinen und Anlagen. Eine baldige amtliche Klärung der Frage durch die Finanzverwaltung wäre wünschenswert.

Die Bestimmungen betreffen somit im Wesentlichen alle Unternehmen, und zwar:

- gewerbliche Auftraggeber oder Bauherren,

- Auftragnehmer und

- Subunternehmen.

Umgekehrt sind Privatpersonen als Auftraggeber nicht betroffen. Ausgeschlossen sind auch die öffentlichen Auftraggeber, so alle öffentlichen Körperschaften und die von diesen gebildeten Konsortien sowie die Konzessionäre öffentlicher Arbeiten.

 

Wichtig: Wie nachstehend aufgezeigt, kommt die gesamtschuldnerische Haftung eigentlich nur im Verhältnis zwischen Auftragnehmer und Subunternehmer zur Anwendung, während im Verhältnis zwischen Auftraggeber bzw. Bauherr und erstem Auftragnehmer nur eine Verwaltungsstrafe vorgesehen ist, für den Fall, dass die Einzahlungen von Lohnsteuern und Mehrwertsteuer nicht überprüft werden.

 

  1. Haftung der Bauherren bzw. Auftraggeber

Die gesamtschuldnerische Haftung gilt nur im Verhältnis zwischen Auftragnehmer und Subunternehmer; der gewerbliche Auftraggeber oder Bauherr selbst hingegen sind von der direkten solidarischen Haftung ausgenommen. Der Auftraggeber unterliegt aber einer Verwaltungsstrafe zwischen 5.000 Euro und 200.000 Euro, wenn er seine Zahlungen leistet, ohne sich beim Werknehmer zuvor über die Ordnungsmäßigkeit der Steuerzahlungen im Bereich Mehrwertsteuer und Lohnsteuer informiert zu haben, oder wenn er die Zahlungen leistet, obwohl er Kenntnis von Unregelmäßigkeiten erlangt hat. Zu prüfen sind nach dem Wortlaut des Gesetzes nur MwSt- und Lohnsteuereinzahlungen, welche

  1. a) sich auf die vertragsgegenständliche Leistung beziehen und
  2. b) zum Zeitpunkt der Zahlung durch den Bauherrn bereits fällig

Als Nachweise für die korrekten Einzahlungen gelten entweder

- beeidete Bestätigungen von Steuerbeistandszentren, Wirtschaftsprüfern, Arbeitsberatern u. ä. Sachverständigen oder

- im Sinne des eingangs genannten Rundschreibens Nr. 40/E der Agentur der Einnahmen auch Ersatzerklärungen im Sinne von DPR 445/2000 durch den Auftragnehmer. Diesem Rundschreiben legen wir einen entsprechenden Vordruck, erstellt aufgrund der derzeitigen spärlichen Anleitungen im genannten Rundschreiben, bei.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes (Art. 35 Abs. 28-bis D.L. 223/2006) hat der Bauherr bzw. Auftraggeber die aufgezeigten Unterlagen nicht nur von seinem unmittelbaren Auftragnehmer zu verlangen, sondern der Auftragnehmer muss ihm zudem die Bescheinigungen etwaiger Subunternehmer vorlegen. Zumindest nach Auslegung der ANCE kann die unterlassene Anforderung der Freistellungserklärungen bzw. der Ersatzerklärungen an sich noch keinen Tatbestand für die Verhängung von Verwaltungsstrafen darstellen; notwendig sind zusätzlich tatsächliche Unregelmäßigkeiten bei der Einzahlung von Mehrwertsteuer und/oder Lohnsteuern durch den Auftragnehmer und/oder seine Subunternehmer. Werden die Unterlagen (eidesstattliche Erklärung oder Ersatzerklärung) nicht vorgelegt, so ist der Auftraggeber zur Aussetzung seiner Zahlungen berechtigt (nicht aber verpflichtet!).

 

  1. Haftung bei Unterwerkverträgen

Der Auftragnehmer, welcher Arbeiten über Unterwerkverträge weitergibt, haftet hingegen gegenüber dem Fiskus solidarisch mit dem Unterwerksnehmer für die korrekte Einzahlung von Mehrwertsteuer und Lohnsteuern im Zusammenhang mit den übergebenen Arbeiten. Er kann sich von dieser Haftung nur entbinden, wenn er vor Durchführung der Zahlung ebenfalls entweder

- eine eidesstattliche Erklärung eines Steuerbeistandszentrums oder eines anerkannten Sachverständigen (Wirtschaftsprüfer, Arbeitsberater u. ä.) oder aber

- nach den Anleitungen im Rundschreiben Nr. 40/E eine Ersatzerklärungen im Sinne von DPR 445/2000 des Subunternehmers einholt, worin

- die korrekte Einzahlung der Lohnsteuern und der Mehrwertsteuer bestätigt werden, soweit sie sich

  1. a) auf die vertragsgegenständliche Leistung des Unterwerksvertrages beziehen und
  2. b) zum Zeitpunkt der Zahlung an den Subunternehmer bereits fällig

Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, haftet der Auftragnehmer gesamtschuldnerisch mit dem Subunternehmer gegenüber dem Fiskus für die oben genannten Lohnsteuern und die Mehrwertsteuer. Ein schwacher Trost: Im Regresswege kann  er beim Subunternehmer die Zahlung zurückverlangen, und die solidarische Haftung darf zudem den Betrag des vereinbarten Entgelts aus dem Unterwerkvertrag nicht übersteigen; im Gegenzug wurde die frühere Regelung, wonach die solidarische Haftung auf einen Zeitraum von 2 Jahren ab Beendigung der Arbeiten beschränkt ist, gestrichen.

Im Sinne von Art. 13-ter D.L. 83/2012 kann der Auftragnehmer Zahlungen an seinen Subunternehmer solange aussetzen, als er nicht die aufgezeigten Freistellungsunterlagen (eidesstattliche Erklärung oder Ersatzerklärung) erhalten hat; auch hier gilt also: Die Aussetzung der Zahlung an den Subunternehmer ist fakultativ und nicht verpflichtend.

Völlig unverständlich ist die solidarische Haftung im Bereich der MwSt bei Unterwerkverträgen im Bauwesen, zumal hier i. d. R. die Steuerschuld über das Reverse-Charge-Verfahren auf den Auftraggeber übergeht.

 

  1. Zeitlicher Anwendungsbereich

Wie einleitend festgehalten, gelten die Neuerungen erst für Zahlungen ab dem 11. Oktober 2012, und auch das nur, soweit sie sich auf Verträge beziehen, die ab dem 12. August 2012 (Inkrafttreten des Umwandlungsgesetzes zum D.L. 83/2012) abgeschlossen worden sind. Im Umkehrschluss: Zahlungen für Werk- und Unterwerkverträge, die vor dem genannten Datum abgeschlossen worden sind, bleiben von der Neuerung weiterhin befreit. Die Übergangsfrist wird mit der Charta der Steuerzahler begründet, wo eine Schonfrist von 60 Tagen ab Inkrafttreten (am 12. August 2012) verlangt wird.

 

  1. Freistellungserklärungen und Ersatzerklärungen

Wie aufgezeigt, können zwecks Vermeidung von Verwaltungsstrafen und gesamtschuldnerischer Haftung beeidete Erklärungen von Steuerbeistandszentren, Wirtschaftsprüfern und Arbeitsberatern verlangt werden, worin die Ordnungsmäßigkeit der Einzahlung von Lohnsteuern und Mehrwertsteuer beim Zahlungsempfänger bestätigt werden; nicht geklärt ist bislang, welche Sanktionen Steuerbeistandszentren u. a. drohen, wenn diese beeideten Erklärungen fehlerhaft sein sollten.

Nach dem jüngsten Rundschreiben können die Verwaltungsstrafen bzw. die gesamtschuldnerische Haftung aber auch durch einfache Ersatzerklärungen des Zahlungsempfängers vermieden werden.

Diese Ersatzerklärungen müssen laut Rundschreiben folgenden Mindestinhalt aufweisen:

- Angabe der periodischen MwSt-Abrechnungen, in welchen die Rechnungen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Werkvertrag berücksichtigt bzw. abgerechnet worden sind. Es ist dabei auch anzugeben, ob aus der MwSt-Abrechnung eine Zahlungsschuld hervorgegangen, ob auf die Rechnungen die Ist-Besteuerung („IVA per cassa“) oder ob die umgekehrte Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Verfahren) angewandt worden ist.

- Angabe des Monats, in welchem die Lohnsteuern abgeführt worden sind (eventuell auch durch teilweise oder gänzliche Verrechnung).

- Angabe der Eckdaten des Zahlungsvordrucks F24, mit welchem die MwSt und die Lohnsteuern entrichtet worden sind (auch durch Verrechnung).

- Bestätigung, dass die für MwSt und Lohnsteuer gezahlten Beträge die für den jeweiligen Vertrag geschuldeten Steuern beinhalten.

Wichtig: Weder in der beeideten Freistellungserklärung, noch in der Ersatzerklärung werden Angaben verlangt, welche oder wie viele Mitarbeiter auf der Baustelle beschäftigt waren. In der Vergangenheit ist man vielfach davon ausgegangen, solche Erklärungen würden notwendig sein. Trotzdem wird es zumindest im Falle von beeideten Freistellungserklärungen in der Praxis unumgänglich sein, entsprechende Kontrollen vorzunehmen.

Problem: Nach einer wörtlichen Auslegung des jüngsten Rundschreibens Nr. 40/E müssten Auftragnehmer und Subunternehmer bescheinigen, dass die Lohnsteuern und die Mehrwertsteuer für die in Rechnung gestellten Leistungen bereits eingezahlt sind. Dies würde zwangsläufig zu erheblichen Verzögerungen bei den Zahlungen führen, wie ausführlich in der Fachpresse in den letzten Wochen aufgezeigt.

Beispiel: Am 3. September 2012 wurde ein Unterwerkvertrag abgeschlossen, und die entsprechenden Leistungen wurden noch im September abgeschlossen. Am 1. Oktober 2012 stellte der Subunternehmer seine Rechnung aus, und diese soll in diesen Tagen bezahlt werden. Nehmen wir noch an, dass es sich nicht um Leistungen handelte, die nicht in das Reverse-Charge-Verfahren fallen. Am 15. Oktober 2012 möchte der Auftraggeber des Unterwerkvertrages die Leistungen zahlen, der Subunternehmer kann aber frühestens am 16. Oktober die Einzahlung der Lohnsteuern für September vorlegen, und die Mehrwertsteuer für die am 1. Oktober ausgestellte Rechnung wird erst am 16. November 2012 eingezahlt werden.

Nach dem Wortlaut des Rundschreibens müsste der Subunternehmer die Zahlung von Lohnsteuern und Mehrwertsteuer belegen, folglich könnte eine Zahlung wohl erst nach dem 16. November 2012 erfolgen. Im Gesetz wird allerdings nur die Bestätigung für die Steuerzahlungen verlangt, die zum Datum der Zahlung durch den Auftraggeber bereits fällig waren. Schlussfolgerung: Falls im konkreten Fall vor dem 16.10.12 bezahlt wird, dürfte gar keine Bestätigung notwendig sein, ab dem 16.10.12 müssten die Bestätigung für die Lohnsteuern und erst bei einer Zahlung ab dem 16.11.12 die Zahlungen von Mehrwertsteuer und Lohnsteuer belegt werden.

 

  1. Sonderfall Baukonsortien

Die Zuweisung von Arbeiten durch ein Baukonsortium an die eigenen Mitglieder stellt nach geltender Rechtslage weder einen Werk- noch einen Unterwerkvertrag dar; entsprechend kommt für die entsprechenden Zahlungen des Konsortiums an die eigenen Mitglieder die Neuregelung u. E. nicht zur Anwendung. Werden hingegen durch das Konsortium Arbeiten gänzlich oder teilweise über Unterwerkverträge Dritten übergeben, so kommen die aufgezeigten Neuerungen nach den allgemeinen Bedingungen zum Tragen.

 

Für weitere Informationen und Unterlagen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Josef Vieider

Herunterladen R-41-15.10.12 Solidarische Haftung