Mit Verordnung des Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen vom 13. Dezember 2021 wurde der gesetzliche Zinsfuß mit Wirkung ab 1. Jänner 2022 von bislang 0,01% auf 1,25% angehoben. Es handelt sich wohl um eine der größten Veränderungen der letzten Jahre.
Mit Verordnung vom 21. Dezember 2021 wurden infolge auch die Koeffizienten zur Neuberechnung von Fruchtgenuss und nacktem Eigentum in Anlehnung an den reduzierten Zinsfuß neu festgelegt. Die Änderung hat auf mehrere zivil-, handels- und steuerrechtliche Sachverhalte sowie auf die Sozialabgaben unmittelbare Auswirkungen. Als Beispiele können angeführt werden die Zinsberechnung für die sogenannte freiwillige Berichtigung, die Verzinsung von Forderungen aus Schadenersatz und anderen Streitfällen sowie die Verzinsung der vom Mieter erteilten Kaution an den Mietherrn.
1. Schuldverhältnisse
Soweit nicht vertraglich oder gesetzlich ein anderer Zinsfuß festgelegt ist, kommt bei Schuld-verhältnissen ab 1. Jänner 2022 der gesetzliche Zinsfuß von 1,25% zur Anwendung. Dies gilt z. B. für die Verzinsung der vom Mieter hinterlegten Kaution an den Vermieter.
2. Bewertung des lebenslangen Fruchtgenussrechtes
Der lebenslängliche Fruchtgenuss wird wie folgt berechnet: Abhängig vom Alter des Frucht-nießers werden bestimmte Koeffizienten festgesetzt; multipliziert mit dem gesetzlichen Zins-fuß ergeben sie den jeweiligen Wert des Fruchtgenusses. Wir legen die neue Übersicht diesem Rundschreiben unter Anlage A) bei. Um z. B) die Bemessungsgrundlage der Registersteuer bei Übertragung des nackten Eigentums einer Liegenschaft zu ermitteln, muss der volle Wert mit dem gesetzlichen Zinsfuß (ab 1. Jänner 2022 1,25%) und mit dem Koeffizienten nach Alter des Fruchtnießers multipliziert werden.
Bei einem Wert des vollen Eigentums einer Liegenschaft von z. B. 300.000 Euro und einem Fruchtnießer, der 77 Jahre alt ist, ergibt sich folgende Berechnung:
- Wert des vollen Eigentums: 300.000 Euro
- Gesetzlicher Zinsfuß: 1,25%
- Koeffizient Fruchtgenuss bei 77 Jahren:24
Entsprechend ergibt sich ein Wert des Fruchtgenusses von 90.000 Euro (=300.000x1,25%x24), während der Wert des nackten Eigentums 210.000 Euro (300.000 abzgl. Wert Fruchtgenuss) beträgt. Im Endeffekt wurden die Koeffizienten derart geändert, dass der Fruchtgenuss trotz geänderter Zinssätze wieder die gleichen Werte hat wie zuvor.
3. Auswirkungen im Steuerbereich
Unmittelbare Auswirkung hat die Reduzierung des gesetzlichen Zinsfußes auf die freiwilligen Berichtigungen für unterlassene, verspätete oder unzureichende Steuerzahlungen (sog. „ravvedimento operoso“), für welche ab 1. Jänner 2022 Zinsen im Ausmaß von 1,25% geschuldet sind. Bei Berichtigungen aus dem Vorjahr sind nunmehr die Zinsen aufgrund unterschiedlicher Zinssätze zu ermitteln. Wenn z. B. am 16. Dezember 2021 die MwSt-Zahlung zu gering war und im Jänner 2022 eine Nachzahlung erfolgen soll, so sind die Zinsen hierfür bis zum 31. Dezember 2021 mit 0,01% und ab dem 1. Jänner 2022 zum Zinsfuß von 1,25% zu ermitteln. Für vereinbarte Ratenzahlungen im Zuge von getroffenen Abfindungen von Streit-verfahren bleibt hingegen im Sinne des Rundschreibens Nr. 28 vom 21. Juni 2011 der bei Abfindung mit dem Steueramt geltende Zinssatz aufrecht, d. h., im Vorjahr vereinbarte Raten können nicht neu berechnet werden. Ratenzahlungen für ab 1. Jänner 2022 zu treffende Abfindungen werden hingegen mit dem neuen Zinssatz von 1,25% berechnet werden, soweit nicht ausdrücklich ein anderer Zinssatz vorgesehen ist. Keine Auswirkungen hat die Erhöhung des Zinssatzes für die Ratenzahlungen auf die Ersatzsteuern bei der Aufwertung von Beteiligungen und Grundstücken, da hier der Zinsfuß für die Ratenzahlung (3%) eigens festgelegt worden war.
Im Bereich der Einkommensteuern gilt für gewährte Darlehen ein vermuteter Zinsertrag in Höhe des gesetzlichen Zinsfußes, falls nicht schriftlich eine andere Verzinsung vorgesehen ist; diese Zinsvermutung gilt sowohl im Bereich der Kapitaleinkünfte (Art. 45 Abs. 2 EESt) als auch für die Einkünfte aus Unternehmen (Art. 89 Abs. 5 EESt). Soll eine andere Verzinsung zur Anwendung kommen, so ist hierfür eine Vereinbarung mit sicherem Datum (Einschreiben ohne Umschlag, Mitteilung über zertifizierte E-Mail-Adresse) erforderlich. Liegt keine abwei-chende Vereinbarung vor, gilt ab 1. Jänner 2022 die gesetzliche Verzinsung von 1,25%.
4. Auswirkungen bei Sozialabgaben
Der auf 1,25% erhöhte gesetzliche Zinsfuß hat zudem auch Auswirkungen auf die Verwal-tungsstrafen für unterlassene oder verspätete Zahlungen von Sozialabgaben, zumal in diesem Bereich die Strafen auf den gesetzlichen Zinsfuß von 1,25% (in diesem Sinne Art. 106 G. 388/2000) erhöht werden können, soweit die Vergehen auf objektive Unsicherheiten, schuld-haftes Verhalten Dritter oder auf außerordentliche Umstrukturierungen in Krisensituationen zurückzuführen sind.
Für weitere Informationen und Unterlagen stehen wir Ihnen natürlich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Josef Vieider
ANLAGE A:
Tabelle Fruchtgenuss laut D.M. vom 21.12.2021
Alter | Koeffizient | Anteil Fruchtgenuss |
Anteil nacktes Eigentum |
von 0 bis 20 | 76,00 | 95,00 | 5,00 |
von 21 bis 30 | 72,00 | 90,00 | 10,00 |
von 31 bis 40 | 68,00 | 85,00 | 15,00 |
von 41 bis 45 | 64,00 | 80,00 | 20,00 |
von 46 bis 50 | 60,00 | 75,00 | 25,00 |
von 51 bis 53 | 56,00 | 70,00 | 30,00 |
von 54 bis 56 | 52,00 | 65,00 | 35,00 |
von 57 bis 60 | 48,00 | 60,00 | 40,00 |
von 61 bis 63 | 44,00 | 55,00 | 45,00 |
von 64 bis 66 | 40,00 | 50,00 | 50,00 |
von 67 bis 69 | 36,00 | 45,00 | 55,00 |
von 70 bis 72 | 32,00 | 40,00 | 60,00 |
von 73 bis 75 | 28,00 | 35,00 | 65,00 |
von 76 bis 78 | 24,00 | 30,00 | 70,00 |
von 79 bis 82 | 20,00 | 25,00 | 75,00 |
von 83 bis 86 | 16,00 | 20,00 | 80,00 |
von 87 bis 92 | 12,00 | 15,00 | 85,00 |
von 93 bis 99 | 8,00 | 10,00 | 90,00 |