Sollen Dividenden aus Rücklagen, die vor dem 1. Jänner 2018 gebildet worden sind, noch dem Teileinkünfteverfahren mit progressiver Besteuerung beim privaten Anteilseigner unterliegen, so muss innerhalb 31. Dezember 2022 nicht nur die Ausschüttung beschlossen werden, sondern es muss auch die entsprechende Auszahlung der Gewinne vorgenommen werden. So lautet zumindest die Antwort der Agentur der Einnahmen Nr. 454 vom 16. September 2022.
Die Vorgeschichte:
Vor den Änderungen mit G. 205/2017 (Haushaltsgesetz für 2018) wurden Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen, die von natürlichen Personen außerhalb eines Unternehmens gehalten wurden, progressiv besteuert, allerdings nur im Ausmaß von 40% (Gewinne bis 2007), 49,72% (Gewinne bis 2016) oder 58,14% (Gewinne 2017), abhängig vom Jahr, in welchem die Gewinne angereift sind. Seit 1. Jänner 2018 hingegen gilt, dass auch diese Gewinnausschüttungen einer Abfindungssteuer von 26% unterliegen, gleich wie jene aus unwesentlichen Beteiligungen. Im Zuge der Reform wurde aber eine Übergangsfrist vorgesehen: Für Ausschüttungen, die innerhalb 31. Dezember 2022 beschlossen (!) werden und Gewinne aus Rücklagen betreffen, die noch innerhalb 31. Dezember 2017 gebildet worden sind, soll noch die alte Regelung zur Anwendung kommen. Im Klartext: Für diese Ausschüttungen bleibt das frühere Teileinkünfteverfahren aufrecht.
Antwort Nr. 454/2022:
Und hier setzt nun die eingangs genannte Antwort der Agentur der Einnahmen an: Obwohl der gesetzliche Wortlaut der Übergangsbestimmung eigentlich nur von einem Ausschüttungsbeschluss spricht, der bis 31. Dezember 2022 zu treffen ist, verlangt die Agentur der Einnahmen nun, dass innerhalb des genannten Datums auch die Auszahlung der Dividende geschehen muss, um noch das Teileinkünfteverfahren anwenden zu dürfen. Andernfalls unterliegen auch diese Dividenden der Abfindungssteuer von 26%.
Was die zeitliche Zuordnung der ausgeschütteten Rücklagen anbelangt, so hat die Agentur der Einnahmen bereits mit Antwort Nr. 163 vom 30. März 2022 geklärt, dass allgemein das FIFO-Verfahren anzuwenden ist. Im Klartext: Zuerst gelten Gewinnrücklagen bis 2007, dann jene bis 2016 und schließlich jene bis 2017 als ausgeschüttet.
Vor- und Nachteile des Teileinkünfteverfahrens:
Angesichts dieser Rechtslage wird zu prüfen sein, ob vor dem 1. Jänner 2018 gebildete Gewinnrücklagen in Kapitalgesellschaften noch innerhalb Jahresendes an Gesellschafter (natürliche Personen) mit wesentlichen Beteiligungen ausgeschüttet werden sollen, wobei nach der aufgezeigten Auslegung innerhalb Jahresendes also auch die Auszahlung erfolgen muss. Dabei gelten insbesondere folgende Abwägungen:
- Vorteile aus dem bisherigen Teileinkünfteverfahren ergeben sich insbesondere bei recht „alten“ Gewinnrücklagen: So sind Gewinne, die bis 2007 erwirtschaftet worden sind, nur zu 40% zu besteuern (Vorteil bei Spitzensteuersatz 43% rund 8,8%) und solche bis 2016 zu 49,72% (Ersparnis bei Spitzensteuersatz 43% noch rd. 4,6%). Bei Gewinnen aus dem Jahr 2017 liegt bei einer Bemessungsgrundlage von 58,14% der Steuervorteil gegenüber der Abfindungssteuer von 26% hingegen auch beim Spitzensteuersatz von 43% nur mehr bei rund 1%, und unter Berücksichtigung ggf. des IRPEF-Zuschlags ist die Steuerbelastung beinahe gleichwertig.
- Zu beachten sind aber auch etwaige Steuerabsetzbeträge (z. B. aus Wiedergewinnungsarbeiten) und Sonderausgaben (z. B. Beiträge an die Handwerker- und Kaufleuteversicherung), die bei der progressiven Besteuerung der Dividenden noch genutzt werden können, in Zukunft bei einer Abfindungsbesteuerung hingegen zumindest nicht mehr mit den Gewinnausschüttungen verrechnet werden können.
- Insbesondere bei Gewinnen aus dem Ausland (vor allem aus ausländischen Personengesellschaften) aus der Zeit vor 2018 wäre eine Ausschüttung genau zu prüfen, weil hier im Falle einer Abfindungssteuer von 26% die Anrechnung der ausländischen Steuern verloren geht.
- Umgekehrt sind bei der ausschüttenden Gesellschaft die negativen Auswirkungen der Ausschüttungen auf die ACE zu beachten.
- Schließlich wird jenseits aller steuerlichen Überlegungen auch die Liquidität des Unternehmens zu berücksichtigen sein.
Empfehlung:
Sollte sich in Ihrem Unternehmen die Kombination aus Gewinnen vor 2018 einerseits und wesentlichen Beteiligungen natürlicher Personen andererseits ergeben, so empfehlen wir, mögliche Gewinnausschüttungen noch in den letzten Wochen des Jahres 2022 genau zu prüfen.
Für weitere Informationen stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Josef Vieider