Liberalisierungsverordnung – Änderungen für Unternehmen und Freiberufler
Die sog. Liberalisierungsverordnung (D.L. Nr. 1/2012 vom 24. Jänner 2012, veröffentlicht im Amtsblatt der Republik Nr. 19 vom 24. Jänner 2012) ist am Tag ihrer Veröffentlichung in Kraft getreten. Nachstehend ein Überblick über die Änderungen in der Verordnung, soweit sie für die gewerbliche und freiberufliche Tätigkeit von Bedeutung sind.
- Neuerungen im Bereich der Mehrwertsteuer:
MwSt Bauwesen (Art. 57) |
Die bedeutendste Änderung hätte die Wiedereinführung der Mehrwertsteuer auf den Verkauf (nach Ablauf von fünf Jahren) und die Vermietung von Wohnungen durch Bauunternehmen sein sollen. Wie berichtet, ist diese für das krisengeschüttelte Baugewerbe äußerst wichtige Reform aber im Zuge der Veröffentlichung der Verordnung „verloren“ gegangen. Im Nachhinein will es niemand gewesen sein, der die Streichung veranlasst hat, und die Regierungsvertreter haben eiligst versprochen, im Zuge der parlamentarischen Behandlung entsprechende Berichtigungen an der Liberalisierungsverordnung vorzunehmen. Über die bisherigen Neuerungen beim Verkauf und bei der Vermietung von Wohnungen haben wir Sie ob der Dringlichkeit bereits mit unserem Rundschreiben Nr. 9/2012 informiert, und es kann nur empfohlen werden, die Entwicklungen der nächsten Wochen abzuwarten. |
Abwälzbarkeit der MwSt auch nach Zustellung von Steuerbescheiden (Art. 93) |
Von allgemeiner Bedeutung ist die Aufhebung des Verbotes, eine über Steuerbescheide festgestellte höhere MwSt an den Kunden abzuwälzen. Zur Vorgeschichte: Bislang galt im Sinne von Art. 60 Abs. 7 MwStG, dass ein Unternehmer nicht berechtigt war, die über einen Steuerfestsetzungsbescheid zu seinen Lasten festgestellte höhere Mehrwertsteuer auf eine Lieferung oder Leistung, z. B. wegen Anwendung eines zu geringen MwSt-Satzes oder wegen der unterlassenen Ausstellung einer Rechnung mit MwSt, seinem Kunden weiter zu belasten. Dies führte z. B. im Bauwesen zur absurden Situation, dass für den Fall, dass ein Auftraggeber - auch fälschlicherweise - den verminderten MwSt-Satz von 10% beantragt hatte, das Bauunternehmen im Falle der Aberkennung dieser Begünstigung nach Zustellung eines Steuerbescheides die evtl. höhere MwSt nicht mehr dem Kunden anrechnen durfte. Umgekehrt war nach herrschender Rechtsprechung die Weiterbelastung bis zur Zustellung des Bescheides zulässig, was u. U. auch zu voreiligen Weiterbelastungen bereits im Zuge von Steuerkontrollen geführt hat. Diese Einschränkung stellte die Neutralität der MwSt bei Unternehmen in Frage und war daher seit Jahren großer Kritik ausgesetzt. Nun wird die Regelung zumindest teilweise abgeschafft. Die Abwälzung der zusätzlichen Mehrwertsteuer, die aus einem Verrechnungs- oder Feststellungsbescheid hervorgeht, an den Kunden wird jetzt zugelassen, allerdings nur soweit die höhere MwSt nebst Strafen und Zinsen zuvor an den Fiskus abgeführt worden ist. Abgewälzt darf aber nur die zusätzliche Steuer werden. Umgekehrt verbleiben Strafen und Zinsen beim Rechnungsaussteller. Der Rechnungsempfänger seinerseits kann die ihm so weiterbelastete Vorsteuer bis hin zur MwSt-Erklärung des zweiten Folgejahres nach Zahlung der zusätzlichen Steuer in Abzug bringen, vorausgesetzt, dass die Steuer bei Durchführung des Geschäftsvorfalles abzugsfähig gewesen wäre. Der Abzug der Vorsteuer beim Rechnungsempfänger wird also an zwei Bedingungen geknüpft: Zahlung der zusätzlichen MwSt an den Lieferer oder Leistungserbringer und Absetzbarkeit der Steuer bei Durchführung des ursprünglichen Geschäftsvorfalles. Hinweis: Der Rechnungsempfänger muss überprüfen, ob der Aussteller die weiterbelastete Mehrwertsteuer nebst Strafen und Zinsen auch tatsächlich eingezahlt hat, da dies unbedingte Voraussetzung für die Abwälzung der Steuer ist. Unklarheiten bestehen in diesem Zusammenhang insbesondere bei Ratenzahlungen nach Steuerfestsetzungen. Unklarheiten bestehen auch ob des Inkrafttretens der Neuerung, es darf aber davon ausgegangen werden, dass die Abwälzung auch noch für Steuerbescheide zulässig ist, für welche bei Inkrafttreten der Liberalisierungsverordnung am 24. Jänner 2012 noch ein Streitverfahren anhängig ist.
|
2. Neuerungen für Unternehmen: | |
Vereinfachte Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Art. 3) |
Mit Art. 2463-bis ZGB wird im Handelsgesetz die neue Rechtsform der „vereinfachten GmbH“ eingeführt. Konkret wird natürlichen Personen, die zum Gründungsdatum das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die Möglichkeit eingeräumt, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem Stammkapital von nur einem Euro zu gründen, wobei für die Gründung nicht einmal der Beistand eines Notars erforderlich ist. Die Gründung erfolgt nämlich durch eine einfache, einseitige Privaturkunde, die von den Verwaltern binnen 15 Tagen beim Handelsregister hinterlegt werden muss. Die Gesellschaft kann auch als Ein-Mann-Gesellschaft gegründet werden.
Wenn einer der Gesellschafter älter als 35 Jahre wird, scheidet dieser aus der Gesellschaft aus, außer die Gesellschaft wird zuvor in eine andere Rechtsform umgewandelt. Wenn alle Gesellschafter die Altersgrenze überschreiten, müssen entweder die Umwandlung oder die Auflösung der Gesellschaft beschlossen werden. Mit Ministerialverordnung sollen innerhalb von 60 Tagen eine Standard-Satzung ausgearbeitet und die persönlichen Voraussetzungen für Gesellschafter und Verwalter festgelegt werden |
Hinweis: So verlockend die neue Rechtsform auch sein mag, an ihrer Verbreitung darf gezweifelt werden, denn der Vorteil besteht in erster Linie in der geringen Kapitalausstattung (1 Euro anstatt des Mindestkapitals von 10.000 Euro). Die Absicht der Regierung, verkrustete Marktzugangsbeschränkungen abzubauen und auch Jugendlichen den Zugang zu gewerblichen Tätigkeiten zu erleichtern, ist zu begrüßen, ob gerade in Krisenzeiten, wo vor allem von Banken eine angemessene Eigenkapitalausstattung verlangt wird, eine GmbH mit einem Kapital von nur 1,00 Euro das richtige Signal ist, darf bezweifelt werden.
|
|
Zinsschranke bei Gesellschaften mit öffentl. Beteiligung (Art. 88) |
Für ab zum 24. Jänner 2012 laufende Geschäftsjahre kommt die allgemeine Zinsschranke laut Art. 96 Abs. 5 EESt auch für Gesellschaften zur Anwendung, deren Gesellschaftskapital vorwiegend von öffentlichen Körperschaften gehalten wird, soweit sie in folgenden Bereichen tätig sind:
- Lieferung von Wasser, Energie und Fernwärme sowie - Müllentsorgung und Abwasserreinigung. Die Einschränkung wird vor allem E-Werke und Fernheizwerke mit öffentlicher Beteiligung treffen. Hinweis: Das Ansinnen der Regierung, mit Zuckerbrot (ACE) und Peitsche (Zinsschranke) die Eigenkapitalausstellung der Unternehmen zu verbessern, ist verständlich. Im konkreten Fall bestehen aber einschlägige gesetzliche Beschränkungen zu Lasten von Land und Gemeinden (Stichwort Stabilitätspakt), denen es nur beschränkt erlaubt wird, Eigenmittel in die genannten Gesellschaften zu stecken. Die Gesellschaften dann dafür zu strafen, dass sie sich fremd finanzieren müssen, ist nicht nachvollziehbar. |
Verlegung Rechtssitz ins Ausland (Art. 91) |
Unternehmen, welche ihren Sitz ins Ausland verlegen, können die Besteuerung des dadurch entstehenden Veräußerungsgewinns auf Antrag aussetzen, soweit die Sitzverlegung in ein anderes EU-Land erfolgt oder in ein Land des Europäischen Wirtschaftsraumes. Für die praktische Umsetzung ist allerdings eine eigene Durchführungsbestimmung notwendig. |
Transportunternehmen (Art. 61) |
Transportunternehmen, die im Verzeichnis der Güterbeförderer auf Rechnung Dritter eingetragen sind, müssen nun für Fahrzeuge mit einer Traglast über 11,5 t jeweils innerhalb des Folgemonats nach jedem Quartal (also innerhalb April, Juli, Oktober und Jänner) um die Steuergutschriften für die Carbon Tax beim zuständigen Zollamt ansuchen. Bekanntlich war bislang jeweils innerhalb 30. Juni des Folgejahres der Antrag zu stellen; durch die Neuerung kommt es also zu einer nachhaltigen Vorverlegung der Gutschrift im Interesse der Unternehmen. Werden die aufgezeigten Fristen allerdings versäumt, geht die Begünstigung verloren. Zudem muss die Gutschrift nun innerhalb des Folgejahres nach Antragstellung verwendet werden. Auch wird ab 2012 die Obergrenze von 250.000 Euro wiederum gestrichen.
Für Fahrzeuge mit einer Traglast über 7,5 t hingegen wird die Erstattung der Erhöhung der Mineralölsteuer gewährt. Dabei sind die gleichen neuen Fristen wie für die Fahrzeuge über 11,5 t zu beachten. |
3. Neuerungen für Freiberufler:
|
|
Abschaffung der Tarifordnungen (Art. 9) |
Mit der Verordnung werden wesentlichen Neuerungen für die durch Berufskammern geregelten, freiberuflichen Tätigkeiten vorgesehen. Vorab werden die Mindest- und Höchsttarife für die Honorare abgeschafft. Es sollen zwar vom zuständigen Ministerium Parameter erlassen werden, die aber nur für mehr als Richtwerte bei etwaigen Streitverfahren dienen werden.
Im Gegenzug müssen die Honorare nun von den Freiberuflern im Voraus für die einzelnen Leistungen mit dem Mandanten vereinbart werden. Es müssen dabei Umfang und Komplexität des Auftrages berücksichtigt werden, und auch die Auslagen und Nebenkosten, die sich aus dem Auftrag ergeben, sind anzugeben. Schließlich hat der Freiberufler auch die Eckdaten bzw. den Versicherungsschutz für die Berufshaftpflichtversicherung zu melden. Die Vereinbarung kann auch mündlich erfolgen; ein schriftliches Angebot ist nur notwendig, wenn es vom Kunden ausdrücklich verlangt wird. Hinweis: Die neue Vorschrift gilt für die ab 24. Jänner 2012 neu erteilten Aufträge; die laufenden Aufträge sind grundsätzlich ausgeschlossen. Zu ergänzen bleibt noch, dass die Praktikumszeiten für Berufsanwärter auf maximal 18 Monate reduziert werden.
|
4. Kapitaleinkünfte: | |
Besteuerung Finanzerträge |
Die erst mit der Augustverordnung im Vorjahr eingeführte Ersatzbesteuerung der Kapitalerträge in Höhe von 20% wird abermals abgeändert: Im Detail wird verfügt, dass auch auf Termingeschäfte weiterhin der verminderte Steuersatz von 12,5% zur Anwendung kommt, soweit Gegenstand der Geschäfte Staatspapiere Italiens oder von Staaten aus der sog. „White list“ sind. Zudem wird verfügt, dass für Gewinnzahlungen an Pensionsfonds, welche in Mitgliedsländern der EU oder solchen der „White list“ gegründet wurden, auch in Zukunft der verminderte Steuersatz von 11% aufrecht bleibt.
|
5. Sonstige Neuerungen:
|
|
Photovoltaikanlagen (Art. 65) |
Seit 24. Jänner 2012 sind die Begünstigungen für neue PV-Freilandanlagen in landwirtschaftlichen Gebieten gestrichen worden. Begünstigt bleiben allerdings all jene Freilandanlagen, welche zum genannten Datum
- bereits eine Betriebsgenehmigung hatten oder - um eine solche angesucht hatten, soweit die Anlage dann innerhalb eines Jahres, also innerhalb 24. Jänner 2013, auch tatsächlich in Betrieb geht. Für PV-Anlagen auf Gewächshäusern hingegen wird festgelegt, dass hier die gleichen Begünstigungen zustehen wie für Anlagen auf Gebäuden; sodann wird allerdings verlangt, dass die Fläche der PV-Module nicht mehr als 50% der Dachfläche des Gewächshauses betragen darf. Ein Limit in dieser Größenordnung hatte übrigens der GSE bereits im letzten Juli in seinen Anleitungen vorgesehen.
|
Wegfall von Lizenzen und Ermächtigungen (Art. 1) |
In zahlreichen Bereichen wird der Marktzugang dadurch erleichtert, dass bislang erforderliche Lizenzen und Ermächtigungen gestrichen werden. Über diese Neuerungen hat die Tagespresse in den letzten Tagen ausführlich berichtet, so dass hier nicht näher darauf eingegangen werden soll. Zu ergänzen bleibt nur, dass die einschlägigen Einschränkungen im Einzelhandel in Südtirol wegen ihrer teilweisen Unvereinbarkeit mit der europäischen Niederlassungsfreiheit nach einem Urteil des EUGH gegen Spanien vom 24. März 2011 (Rechtssache C-400/08) ohnehin auf der Kippe stehen. Die Landesverwaltung versucht derzeit fieberhaft zu retten, was zu retten ist, und innerhalb 23. März soll ein neues Landesgesetz mit überarbeiteten Einschränkungen vom Landtag verabschiedet werden.
Hinweis: Jede Krise ist auch eine Chance. Bitte prüfen Sie, ob die derzeit unsichere Rechtslage in bestimmten Fällen nicht auch für den Erhalt von Lizenzen und Ermächtigungen genutzt werden könnte.
|
Öffentliche Arbeiten |
Wesentliche Änderungen ergeben sich auch bei der Vergabe öffentlicher Arbeiten, so insbesondere bei der zentralisierten Vergabe durch kleinere Gemeinden, für Vergaben an Inhouse-Gesellschaften sowie für Projekte sog. PPP-Gesellschaften und die Überlassung der von durch diesen errichteten Anlagen an die öffentlichen Körperschaften. Falls Sie hierzu nähere Unterlagen benötigen, setzen Sie sich bitte mit unserem Büro in Verbindung. |
Für weitere Informationen und Unterlagen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Josef Vieider
Herunterladen R-14-14.02.2012 Liberalisierungsverordnung