Reform bei Fernverkäufen und sonstigen Leistungen an Private in anderen EU-Ländern ab 1. Juli 2021

Bereits seit 2017 sind auf EU-Ebene Bestrebungen im Gange, die Mehrwertsteuer im Onlinehandel grundlegend zu reformieren. Die Neuerungen sind in zwei EU-Richtlinien (RL 2017/2455/EU und RL 2019/1995/EU) und in mehreren Durchführungsverordnungen enthalten. Die Reform hätte ursprünglich am 1. Jänner 2021 in Kraft treten sollen, wurde Corona-bedingt dann aber auf den 1. Juli 2021 verschoben. Während z. B. in Deutschland die Vorbereitungen auf die neue Rechtslage seit Monaten auf Hochtouren laufen, hat in Italien die Regierung am 20. Mai 2021 gerade einmal den Entwurf einer gesetzlichen Verordnung zur Umsetzung der Reform verabschiedet. Da die Reform auf EU-Ebene erfolgt, darf aus unserer Sicht aber nicht davon ausgegangen werden, dass ob der Trägheit des italienischen Rechtssystems abermals ein Aufschub erfolgt. Nachstehend der Versuch eines Überblicks aufgrund der geltenden EU-Rahmenbestimmungen:

Grundsatz – Neuerung für B2C-Geschäfte

Eine Klarstellung vorweg: Die Reform betrifft nicht die innergemeinschaftlichen Lieferungen und Leistungen, also jene Fälle, wo Kunde ein Unternehmen ist (B2B), sondern nur Lieferungen und sog. sonstige Leistungen an Privatpersonen (B2C) in anderen EU-Mitgliedsstaaten.

- Betroffen sind in erster Linie der E-Commerce und der Versandhandel gegenüber privaten Endkunden. Für solche Lieferungen gelten derzeit bekanntlich in jedem Land unterschiedliche Schwellen zwischen 35.000 Euro und 100.000 Euro, bis zu welchen mit der MwSt des Lieferlandes fakturiert werden kann, und bei deren Überschreiten die direkte Registrierung vor Ort notwendig ist. Ab 1. Juli 2021 gilt eine einheitliche Geringfügigkeitsgrenze von 10.000 Euro gemeinsam für alle EU-Mitgliedsstaaten (also nicht pro Land!), und ab deren Überschreiten gilt grundsätzlich die Besteuerung im Bestimmungsland.

Man muss dazu die MwSt-Sätze der einzelnen Gegenstände und Dienstleistungen vor Ort kennen, zumal der entsprechende Preis an den Endverbraucher immer inklusive MwSt anzugeben ist. Die EU-Kommission hat diesbezüglich eine eigene Datenbank eingerichtet (siehe https://ec.europa.eu/taxation_customs/tedb/vatSearchForm.html). Für die Suche müssen die Gegenstände mit der sogenannten KN-Nummer (kombinierte Nomenklatur; die gleiche Nummer, die in den Intra-Meldungen verwendet wird), die Dienstleistungen mit dem CPA-Code eingegeben werden.

- Bei den sonstigen Leistungen an Privatpersonen, die im anderen EU-Land der MwSt unterliegen, gibt es i. d. R. keine Umsatzschwelle. Dazu gehören beispielsweise grundstücksbezogene Leistungen, Vermietungsleistungen, Reparaturleistungen usw. an private Auftraggeber. Sie sind von der Reform insofern betroffen, als ab 1. Juli 2021 die MwSt-Abrechnung nicht mehr unbedingt über eine direkte Registrierung vor Ort erfolgen muss.

Neue Plattform zur länderübergreifenden MwSt-Abrechnung:

Um den MwSt-Pflichten im jeweiligen Land nachzukommen, kann der Unternehmer ab 1. Juli 2021:

  • sich, wie bisher, im jeweils anderen Land für MwSt-Zwecke direkt registrieren, oder
  • er kann die jeweilige MwSt über ein europäisches Besteuerungsverfahren (OSS – One Stop Shop) abrechnen. Es handelt sich um die Erweiterung des bisherigen MOSS-Verfahrens (mini One Stop Shop), das nun zum OSS-Verfahren wird. Diese Plattform wird dadurch für einen italienischen Unternehmer zur einzigen Anlaufstelle für die MwSt-Abrechnung in allen anderen EU-Mitgliedsstaaten (Achtung: immer beschränkt auf Umsätze mit Nicht-Unternehmen!).

Wichtig: Das OSS-Verfahren einerseits und die MwSt-Abrechnung über die direkte Registrierung dürfen auch bei verschiedenen Ländern nicht nebeneinander vorgenommen werden können!

Die praktischen Auswirkungen im Detail:

- Die bisherigen länderbezogenen Lieferschwellen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten für Fernverkäufe und Versandhandel entfallen. Es gilt eine neue einheitliche Umsatzschwelle i. H. v. 10.000,00 Euro, für alle innerhalb der EU erbrachten grenzüberschreitenden Lieferungen.

- Bei Umsätzen bis zu 10.000,00 Euro bleibt es bei der umsatzsteuerlichen Erfassung in dem Mitgliedstaat, in dem der leistenden Unternehmer (also nicht der Kunde) seinen Sitz hat.

- Sobald die Umsatzschwelle überschritten wird, besteht grundsätzlich eine umsatzsteuerliche Registrierungspflicht im EU-Ausland, wenn nicht vom Wahlrecht des besonderen Besteuerungsverfahrens – Meldung über das neue europäische Verfahren OSS – Gebrauch gemacht wird.

- Wenn vom Wahlrecht des besonderen Besteuerungsverfahrens (OSS) Gebrauch gemacht wird, sind sämtliche Fernverkäufe, sonstigen Leistungen an Endkunden ggf. über Schnittstellen auch über dieses Verfahren zu melden. Dies gilt z.B. für Grundstücksleistungen, so für die Leistungen eines Handwerkers auf dem Bau im Auftrag von Privatpersonen im EU-Ausland. Wird für das OSS-Verfahren optiert, dürfen z. B. Leistungen auf einem Privathaus in Deutschland nicht mehr über eine dort vielleicht seit Jahren bestehende direkte Registrierung abgerechnet werden, sondern es ist EU-weit über die Plattform abzurechnen. Die bislang erforderliche Registrierung kann nun gelöscht werden.

Empfehlung: 

Wenn noch keine direkten Registrierungen in anderen Ländern bestehen, liegt es nahe, sich unmittelbar auf der OSS-Plattform zu registrieren. Soweit hingegen bereits direkte Registrierungen bestehen, wird es i. d. R. vorteilhafter sein, zumindest für das laufende Jahr mit diesen fortzufahren, zumal für 2021 aufgrund der bisherigen Umsätze ohnehin die jeweiligen Meldepflichten anfallen; ggf. wird man eine Umstellung mit 1. Jänner 2022 vornehmen.

Die Vorteile der OSS-Plattform können wie folgt zusammengefasst werden:

- Wegfall der lokalen Registrierungspflichten in einzelnen Ländern und Wegfall lokaler periodischer Meldungen und Jahreserklärungen für MwSt-Zwecke.

- Die MwSt muss unabhängig vom Umsatz nur auf Quartalsebene abgeführt werden, was u. U. zu beachtlichen Liquiditätsvorteilen führen kann.

Über weitere Details werden wir Sie informieren, sobald auch Italien die Richtlinie in lokales Recht umgesetzt hat.

Mit freundlichen Grüßen

Josef Vieider